Für eine Zukunft ohne Atomwaffen

Ca. 70 Menschen kamen am 6.8.2025 auf dem Osianderplatz in Villingen zusammen, um der Toten von Hiroshima und Nagasaki zu gedenken. "Gedenken reicht nicht, Atomwaffen abschaffen!" war das Motto der Veranstaltung.
Den Frieden gewinnen - nicht den Krieg! war einer der Leitsätze bei der Hiroshima-Gedenkfeier.
copyright privat
80 Jahre Hiroshima und Nagasaki.

80 Jahre – Zeit zum Vergessen? Viele Menschen wollen vergessen, manche können nicht vergessen. In Europa war der 2. Weltkrieg am 8. Mai 1945 offiziell beendet. Aber wenige Monate später erschütterte ein neues Waffensystem die Welt: Waffen, die mit einer bisher nicht vorstellbaren Zerstörungsintensität Menschen töten und Umwelt vernichten – das kann nicht vergessen werden, daran erinnern wir.

Rede von Helmut Lohrer am Hiroshimatag in Villingen: Die Mühe, aus der Geschichte zu lernen
Es gibt Momente in der Geschichte, die einen tiefen Schnitt hinterlassen. Der 6. August 1945 war ein solcher Tag. In den Morgenstunden fiel über Hiroshima die Atombombe, abgeworfen von einem US-amerikanischen Bomber. In einem einzigen Augenblick wurde eine bis dahin unzerstörte Stadt in ein glühendes Inferno verwandelt. Zehntausende Menschen starben sofort, viele weitere in den folgenden Tagen, Wochen und Jahren an den Folgen der Strahlung. Heute, 80 Jahre später, sind nur noch wenige der Überlebenden, die Hibakusha, am Leben. Doch die Narben, die dieser Angriff hinterlassen hat, sind nicht verheilt. Sie reichen bis in die Gegenwart. Denn auch die Nachfahren der Opfer leiden noch heute unter den Spätfolgen der radioaktiven Verseuchung.

Hiroshima war nicht das Ende. Drei Tage später fiel eine zweite Bombe auf Nagasaki. Auch hier starben unzählige Menschen in einem Höllenfeuer. Dabei war Japan zu diesem Zeitpunkt militärisch besiegt, die Kapitulation stand unmittelbar bevor. Es gab also keine militärische Notwendigkeit für diesen Angriff. Sie waren eine Machtdemonstration. Die USA wollten ihre neue Waffe präsentieren und der Welt zeigen, dass sie über ein Instrument verfügen, das jeden Gegner in die Knie zwingen kann. Zugleich waren die Bombenabwürfe ein zynisches Experiment: Man hat die Opfer nach ihrer jeweiligen Strahlendosis erfasst und die Spätfolgen beobachtet. Diese Studien bildeten die Grundlage für viele der heute noch geltenden Strahlenschutz-Grenzwerte. Dass diese Grenzwerte auf der systematischen Beobachtung von Opfern eines Kriegsverbrechens beruhen, ist ein kaum zu fassendes Beispiel für den Zynismus unserer Zeit.

Man sollte meinen, dass solche Ereignisse ein Weckruf für die Menschheit gewesen wären. Doch die Lektionen von Hiroshima und Nagasaki wurden nicht gelernt. Im Gegenteil: Heute existieren weltweit mehr als 12.000 Atomwaffen. Russland und die USA besitzen jeweils über 5000 Sprengköpfe, viele davon in ständiger Alarmbereitschaft. Die Bombe, die Hiroshima zerstörte, war eine vergleichsweise kleine, unpräzise abgeworfene Uranbombe. Die heutigen Wasserstoffbomben haben teilweise eine hundert- bis tausendfache Zerstörungswirkung. Und in einem Atomkrieg würde nicht eine, sondern hunderte, vielleicht tausende dieser Waffen zum Einsatz kommen. Die Folgen wären nicht nur das Ende einzelner Städte, sondern das Ende unserer Zivilisation.

Trotzdem wird uns von politischer Seite immer wieder das Märchen der "nuklearen Abschreckung" erzählt. Begriffe wie "Atomschirm" oder "strategische Stabilität" sollen uns suggerieren, dass diese Waffen letztlich unserer Sicherheit dienen. Doch in Wahrheit ist diese sogenannte Sicherheit eine Wette auf das ewige Ausbleiben des Ernstfalls. Ein Konstrukt, das nur so lange funktioniert, wie kein Fehler passiert, wie keine Provokation eskaliert und kein Mensch am Drücker nervös wird.

Erschreckend ist dabei auch die Unkenntnis, die ich immer wieder bei Entscheidungsträgern erlebe. Militärs, aber vor allem Politiker, die nie wirklich verstanden haben, was es bedeutet, wenn auch nur eine einzige dieser Waffen eingesetzt wird. Diese Menschen reden über "begrenzte Atomschläge" und "taktische Optionen", als wäre das eine militärische Variante unter vielen. Dabei läuft jeder Einsatz von Atomwaffen unweigerlich Gefahr, eine Eskalationsspirale auszulösen, die sich nicht mehr kontrollieren lässt. Wer ernsthaft glaubt, dass nach dem Einsatz einer Atombombe Vernunft einkehren würde, der verkennt die Dynamik solcher Konflikte.

Und als ob dieser Irrsinn nicht genug wäre, erleben wir parallel die Renaissance von Zivilschutzprogrammen. Es werden Ratschläge veröffentlicht, wie man sich bei einem Atombombeneinsatz verhalten soll. Es werden Pläne über die Reaktivierung oder den Neubau öffentlicher Schutzräume diskutiert. Private Atombunker boomen, Anbieter werben mit Schutz vor Druckwellen und radioaktivem Fallout. Man verkauft die Illusion, man könne einen Atomkrieg überleben, wenn man nur rechtzeitig in seinem Bunker sitzt. Doch das ist eine fatale Verharmlosung. Wer sich nicht schon bei Alarm im Bunker befindet, wird kaum eine Chance haben, ihn rechtzeitig zu erreichen. Und selbst wer den Erstschlag überlebt: Was passiert danach? Die Infrastruktur wäre zerstört, Wasserquellen verseucht, medizinische Versorgung nicht mehr existent. Ein nuklearer Winter mit drastischen Temperaturstürzen und globalen Ernteausfällen würde das Leben in weiten Teilen des Globus für Jahre unmöglich machen. Keine Betonwand, kein Filtergerät wird daran etwas ändern. Wer in Bunker investiert, investiert in eine Illusion, die uns vom Wesentlichen ablenkt: Der einzige wirkliche Schutz vor einem Atomkrieg ist, ihn zu verhindern.

Zur musikalischen Umrahmung der Gedenkfeier präsentierte die japanische Sängerin Aya Koyama japanische Volksliedkunst.
copyright privat

Doch die Realität sieht anders aus. Wichtige Rüstungskontrollverträge, die mühsam ausgehandelt wurden, sind in den letzten Jahren aufgekündigt worden. Der INF-Vertrag, der die Stationierung von Mittelstreckenraketen untersagte, wurde 2019 durch die USA gekündigt. Ohne Not, ohne nachvollziehbare Begründung. Und tatsächlich sollen nun neue Mittelstreckenraketen, Tomahawk-Marschflugkörper und Hyperschallwaffen wie "Dark Eagle", die in wenigen Minuten Moskau erreichen können, stationiert werden. Diese Waffen verändern die Spielregeln. Wenn es keine Vorwarnzeiten mehr gibt, wenn die Reaktionszeit sich auf wenige Minuten verkürzt, dann wird der Finger am Abzug nervös. Die Schwelle zum Atomkrieg sinkt dramatisch.

Auch Russland reagiert mit Stationierungen an den Grenzen Europas. Diese Spirale der Eskalation dreht sich immer schneller. Ich kann das alles nur der Unkenntnis oder dem Zynismus der politischen Entscheidungsträger zuschreiben. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus beidem. Der Wunsch, Macht und Dominanz zu demonstrieren, ist auf allen Seiten zu beobachten. Doch es bringt unser aller Leben in Gefahr.

Die Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, aber auch der schwelende Konflikt um Taiwan sind Beispiele für diese Eskalationsgefahr. An all diesen Konflikten sind Atommächte beteiligt. Jede dieser Auseinandersetzungen kann der Funke sein, der das atomare Pulverfass zur Explosion bringt.

Dabei gibt es Alternativen. Und es gibt sie nicht nur in der Theorie. Ich begegne in meiner Arbeit vielen Menschen, die den Willen zur Verständigung und zum Frieden haben. Menschen, die sich nicht von der Kriegslogik vereinnahmen lassen. Ein Beispiel ist Bischöfin Kristen Fehrs, die als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland erst vor 2 Tagen Atomwaffen für ethisch nicht vertretbar erklärt hat und deren vollständige Ächtung fordert.

Ein Hoffnungsschimmer ist auch der Atomwaffenverbotsvertrag, der 2017 von einer breiten Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten beschlossen wurde. Inzwischen haben 94 Staaten unterzeichnet, 73 haben ihn ratifiziert. Die Atomwaffenstaaten ignorieren diesen Vertrag bislang, manche setzen sogar Länder, die ihn unterstützen, unter Druck. Aber der Vertrag existiert. Und das ist ein Signal. Ein Signal, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung die Existenz von Atomwaffen nicht mehr akzeptiert.

Was wir brauchen, ist eine Politik, die versteht, dass unser eigentliches Sicherheitsinteresse nicht in militärischer Dominanz besteht, sondern im schlichten Überleben. Es geht nicht darum, sich zu behaupten, zu zeigen, dass wir uns nichts gefallen lassen. Es geht darum, einen Atomkrieg zu verhindern. Und dazu gehört auch, die Sicherheitsinteressen der Gegenseite zu verstehen. Ja, auch Russlands Sicherheitsinteressen müssen wir ernst nehmen, Intelligente Politik erkennt die Perspektive des anderen an und sendet Signale der Verständigung.

Das Land mit den meisten Atomwaffen zu isolieren, sowohl militärisch, als auch wirtschaftlich und kulturell, ist keine kluge Politik.

Ich habe vor kurzem mit Politikern und Friedensaktivisten gesprochen, die in Moskau waren. Sie erzählten mir, dass alle ihre Gesprächspartner dort der festen Überzeugung waren: "Der Westen bereitet sich auf einen Krieg gegen Russland vor. Also müssen auch wir uns vorbereiten." Viele hier werden sagen: "Es ist doch genau umgekehrt." Aber genau das ist der Punkt. Es ist eine Frage der Perspektive und eine Frage, welcher Propaganda wir ausgesetzt sind.

Wir müssen erkennen, dass wir letztlich die gleichen Interessen haben. Die Folgen eines Atomkrieges kennen keine Grenzen. Die Forderung nach einer neuen Entspannungspolitik ist deshalb keine Schwäche, sondern die einzig vernünftige Option.

In den 80er und 90er Jahren hat die Politik uns zugehört. Die Menschen sind auf die Straße, haben Druck aufgebaut, Rüstungskontrollverhandlungen wurden geführt, Verträge geschlossen. Heute erleben wir das Gegenteil: Verträge werden gekündigt, Aufrüstung wird als "Zeitenwende" gefeiert.

Es liegt an uns, das zu ändern. Wir dürfen nicht resignieren. Unsere Stimme ist wichtig. Wir müssen uns zusammenschließen, uns gegenseitig Mut machen und für den Frieden eintreten. Nicht irgendwann. Jetzt.

Die Mühe, aus der Geschichte zu lernen, ist nicht vergeblich. Sie ist überlebenswichtig.
(Dr. Helmut Lohrer, Villingen)

Beitrag von Arno Weber über die Friedensnobelpreisträger im Kampf gegen Atomwaffen: Friedensnobelpreise

Man kann in der Vergangenheit sich über die ein oder andere Vergabe des Friedensnobelpreises wundern, in den meisten Fällen lag die Jury wohl richtig. Und die Jury hat auch erkannt, dass der Kampf gegen Atomwaffen eine ganz zentrale friedenspolitische Fragestellung ist. Das ist wohl auch der Grund, warum bereits siebenmal der Preis, immerhin einer der bedeutendsten Auszeichnungen weltweit, für das Engagement gegen Atomwaffen vergeben wurde.

Es begann 1962, verliehen 1963, mit dem bereits 1954 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichneten Wissenschaftler Linus Pauling, der sich intensiv für die Beendigung von Atomwaffentests und gegen die Verbreitung von Atomwaffen eingesetzt hatte und dem dafür zeitweise der amerikanische Reisepass entzogen wurde.

1974 wurde der ehemalige japanische Ministerpräsiden Eisaku Sato für sein Engagement in der Versöhnungspolitik im pazifischen Raum und gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen ausgezeichnet, insbesondere für den Beitritt Japans zum Atomwaffensperrvertrag. Ein Preis der allerdings nicht ganz unumstritten ist, da Sato einige Jahr zuvor in einer Geheimabsprache den USA die Stationierung von Nuklearwaffen erlaubt hat. Aber man kann ja, dazulernen. Der Preis 1974 ging zur Hälfte auch an Sean MacBride vom Internationalen Friedensbüro für den langjährigen Einsatz für Menschenrechte.

Die Organisation International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) in Deutsch die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs erhielt 1985 den Friedensnobelpreis für ihre „sachkundige und wichtige Informationsarbeit“, die das Bewusstsein über die „katastrophalen Folgen eines Nuklearkrieges“ in der Bevölkerung erhöht. Ein deutsches Vorstandsmitglied, Helmut Lohrer, ist heute hier anwesend. Die deutsche Sektion der IPPNW ist die größte berufsbezogene Friedensorganisation in Deutschland.

Zehn Jahre später, 1995, ging der Friedensnobelpreis an den polnischen Physiker mit britischen Pass Jozef Rotblat und die in Kanada gelegenen Pugwash Conferences on Science and World Affairs für Ihre Anstrengungen, die Rolle von Atomwaffen in der internationalen Politik zu verringern. Rotblat hatte zuvor das Manhatten-Projekt, also die Entwicklung der ersten Atombombe, aus ethischen Bedenken verlassen und zusammen mit Einstein und Russel die Pugwash-Konferenzen initiiert, die auch bei internationalen Abrüstungsverträgen, den Atomteststoppvertrag und dem Atomwaffensperrvertrag eine wichtige Rolle spielten.

2005, erneut 10 Jahre später, wurde die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) zusammen mit seinem Generaldirektor, dem Ägypter Mohammed el-Baradei, für ihren Einsatz gegen den militärischen Missbrauch von Atomenergie sowie für die sichere Nutzung der Atomenergie für zivile Zwecke geehrt. Die IAEO hat sich dabei mehrfach mit Regierungen angelegt, sowohl was die Entwicklung von Atomwaffen betrifft, als auch zu Fake-News über angebliche Massenvernichtungswaffen, die gar nicht vorhanden sind aber als Kriegs-Rechtfertigungsgrund fungieren.

2017 kam dann die im Statement vorher bereits beschriebene International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) für ihre Arbeit, Aufmerksamkeit auf die katastrophalen humanitären Konsequenzen von Atomwaffen zu lenken, und für ihre bahnbrechenden Bemühungen, ein vertragliches Verbot solcher Waffen zu erreichen, zu den Preisträgern hinzu.

Im letzten Jahr, also 2024, ging der Preis an die japanische (Überlebenden-)Organisation Nihon Hidankyō, auf English: Japan Confederation of Atomic and Hydrogen Bomb Sufferers Organizations für die Bemühungen, eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen, und für den durch Zeitzeugenberichte belegten Nachweis, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen. Ähnlich wie bei den deutschen Opfern der Nazi-Diktatur sind Zeitzeugenberichte enorm wichtig, damit nicht vergessen wird, dass ein „Nie wieder“ auch für immer ein „Nie wieder“ bleibt. 

(Prof. Dr. Arno Weber, Donaueschingen)

Umkreissuche aktivieren?

Möchten Sie passende Angebote in Ihrer Umgebung sehen? Wir benötigen dazu Ihre Zustimmung zur Standortfreigabe.

Datenschutzbestimmungen anzeigen